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Warum der Begriff "Reichspogromnacht" problematisch ist:

(aus: Wolfgang Benz: Gewalt im November 1938. Die "Reichskristallnacht". Initial zum Holocaust. Berlin 2018, S.9-10.)
Im Bewusstsein der Schande, wie sie den Nationalsozialismus charakterisiert nach der staatlich inszenierten Raserei eines Pöbels, zu dem die Bürger der Kulturnation gesunken waren - egal, ob sie gegen jüdische Nachbarn wüteten oder tatenlos dem Vandalismus zusahen, auch wenn sie sich insgeheim empörten und das Treiben missbilligten - prägten Nachgeborene Jahrzehnte später einen neuen Begriff für das Ereignis. Inzwischen bürgert sich der aus Emotion und Betroffenheit geborene unhistorische und die Opfer unbeabsichtigt verhöhnende Terminus „Reichspogromnacht" ein. Er wird in den Medien, von Politikern, im Erinnerungsalltag ganz selbstverständlich gebraucht. Ein Minimum an Reflexion könnte zur Einsicht führen, dass dadurch die Novemberpogrome verniedlicht werden. Manche fürchten, dass es durch den zeitgenössischen Begriff „Reichskristallnacht" geschehe, weshalb sie ihn durch „Reichspogromnacht" ersetzen wollen. Die moderne Wortschöpfung folgt allerdings in der Diktion nationalsozialistischer Sprache. Der Gestus der Nationalsozialisten kam in Bezeichnungen zum Ausdruck wie Reichsbräuteschule, Reichsmütterschule oder Reichsmütterdienst. Immobilien wie die Reichsautobahn und das Reichsehrenmal wurden auf diese Weise sprachlich geadelt. Für Maßnahmen des Regimes erfanden Parteibürokraten Bezeichnungen im Stil der Zeit wie Reichsberufswettkampf, Reichskleiderkarte oder Reichsfetthilfe. Die Funktionseliten des Dritten Reiches schritten feierlich mit dem ihre Bedeutung erhöhenden Präfix „Reichs" einher: Reichsrechtsführer, Reichsgesundheitsführer, Reichskriegsführer, Reichsbauernführer, Reichsjugendführer, Reichsbischof, Reichs-dramaturg und Reichsbühnenbildner, Reichsfrauenführerin und Reichshandwerksmeister. Göring führte die Titel Reichsforstmeister bzw. Reichsjägermeister, je nachdem, ob er sich mit Wald oder Wild beschäftigte. Heinrich Himmler war Reichsführer SS (und manche nannten ihn auch „Reichsheini"). Der Volksmund karikierte die Sprache des Nationalsozialismus, ernannte den Funktionär Robert Ley zum Reichstrunkenbold und die Schauspielerin Kristina Söderbaum zur Reichswasserleiche. Diese Beispiele sollten Grund genug sein, den Begriff, "Reichspogromnacht" als nachträgliche Referenz an die Sprache der Unmenschen zu vermeiden.
November 9, 2025 at 1:28 PM